Thomas Leon Heck

Das genie, das mir am nächsten stand

 
Die überschrift klingt nicht nur wie “der spion, der aus der kälte kam“, meine beziehung zu Reinhard Breymayer hat tatsächlich einige romanhafte züge.
 Im Februar 1982 (auf den monat genau 200 jahre nach oetingers tod) entdeckte ich im Tübinger Universitätsarchiv ein bislang unbekanntes Manuskript des Theologen F.C. Oetinger (der auf goethe und marx gewirkt hat), das Breymayer zuvor vergeblich gesucht hatte. Ihm stand bei seiner suche aber die eigenhändigkeit von oetingers handschrift vor augen, doch konnte er das manuskript so nicht entdecken, da es von fremder hand geschrieben ist. ich hingegen hatte den namen oetingers nie gehört, bis ich sein buch zu einem sündenthema in die hand bekam, dessen sonderbarer beginn sich mir einprägte: „die aufgabe geht aus einem lautern sinn“ (gedächtniszitat). Dieselbe formulierung fand ich nun in einer der handschriften im uniarchiv. Märchenhafterweise lag ihr ein verschlossenes kuvert bei, dessen öffnung ich nun anregte. Es enthielt das autogramm oetingers! Kurz darauf bat mich der archivdirektor zu sich und eröffnete mir, dass „oetinger einer unserer bedeutendsten söhne“ sei! So war ich plötzlich in der pietismusforschung, so wie die jungfrau zum kind kommt, denn erstmals konnte man ein manuskript oetingers mit seiner buchfassung vergleichen (ein vergleich, der aber bislang nicht angestellt wurde. Ich habe anschließend 3 texte über oetinger verfasst, von denen einer halbseitig in der stuttgarter zeitung erschien, auf seite 3 nach den berichten von helmut kohls machtergreifung, am 7.3.1983).
Dies war eine der zentralen lektionen meines lebens: tüchtigkeit allein genügt nicht für erfolg, glück allein aber auch nicht, man braucht beides. Denn hätte ich nicht den textanfang oetingers im kopf gehabt, hätte auch ich die entdeckung nicht machen können.
 Ein anderer archivdirektor meinte nun, diesen fund werde man mir „in tübingen neiden“. Er konnte nur Reinhard Breymayer meinen. Durch diese entdeckung lernte ich aber Herrn Breymayer kennen, der alles andere als missgünstig war, im gegenteil: er bot sofort seine kooperation an.
 bereits 1985 sollte Breymayer durch einen weiteren Fund mein leben verändern: er hatte ein unbekanntes, Hölderlin zugeschriebenes gedicht entdeckt, die "Hymne an die Heiterkeit". Zum Zweck der Veröffentlichung dieses aufsehenerregenden Fundes gründete ich meinen Verlag. Gemessen an der Reaktion der Öffentlichkeit hatte ich bereits mit meinem Erstling die richtige Nase bewiesen: Von der spanischen Zeitung El Pais über Le Monde halbseitig, vom Hamburger Abendblatt auf der Titelseite bis zum Neuen Deutschland, von den USA bis nach Korea interessierten sich die Medien lebhaft für den Fund. Verdient habe ich dabei zwar nichts, aber die vielen, zum Teil negativen Erfahrungen waren sehr wertvoll für mich. Besonders nach manch infamer Kritik war es eine große Befriedigung, wenn mein Buch in Kindlers Literatur Lexikon unter dem Stichwort Hölderlin erwähnt wurde.
So war ich als versteigerer, kunsthändler und antiquar nun plötzlich ohne jede absicht dank Reinhard Breymayer auch noch verleger geworden, und das in einem abschnitt meines lebens, als der bloße handel anfing, mir zu geistlos zu werden.
 U.a. für ein Buch Breymayers aus meinem Verlag über Philipp Matthäus Hahn erhielt der Autor den Hahn-Preis der Stadt Kornwestheim. Unser hahn-buch war der erste bei mir vergriffene titel und damit einer der wenigen wirtschaftlich erfolgreichen titel.
Von keinem anderen autor habe ich so viele bücher im programm wie von Breymayer, und umgekehrt hat er m.W. auch nirgendwo anders so viele monographien publiziert wie bei mir. Gern hätte ich eine festschrift zu seinem 70. geburtstag verlegt, aber dazu ist es bislang leider nicht gekommen.
 Breymayer verdanke ich indirekt meine aufnahme in diverse Who is whos, was vor zeiten des internets relativ gewichtig war.
welcher seiner konkurrenten könnte schon zugeben: Wenn es kein internet gäbe, in breymayer mit seinen enzyklopädischen kenntnissen wäre man seiner idee am nächsten.
So wie kärchern als verb für reinigen in den wortschatz aufgenommen wurde, verlange ich das schon lange für breymayern: einen text nach allen philologischen, historischen , genealogischen u.a. bezügen durchkneten.
Als ich einmal von einer gastwirtstochter erfuhr, dass sie insgeheim die ehe mit einem akademiker erstrebe, versuchte ich, breymayer mit ihr zu verkuppeln. Leider ließ er sich nicht darauf ein.
Als er einst zu fuß in seiner unvergleichlichen gangart von tübingen nach ofterdingen ging, wurde er als verdächtig an der B27 von der polizei angehalten, die dann aber den von herzen freundlichen mann sogar nach hause chauffierte.
Seine  kenntnisse sind umwerfend, sein interesse an allem beeindruckend: man sieht ihn vor dem ernst-jünger-haus ebenso wie bei kaiserin zitas beerdigung in wien.
Trotz oder wegen seiner selbstzentriertheit ist er ein ausgesprochen guter und teilnahmsvoller zuhörer. Oft habe ich in meinem laden sein teils schallendes, teils selig glucksendes lachen vernommen. Doch bevor ich in einen nachrufton verfalle, wünsche ich ihm zu seinem 70. geburtstag am 4.1.2014 weitere ergiebige jahrzehnte.

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